Interview
Lutz Woellert
Lutz Woellert: Identitätsstiftung
„Dadurch, dass wir bei unseren Kunden sehr breit aufgestellt sind und unsere Projekte über ein bis zwei Jahre laufen, waren wir relativ krisenfest.” Weil die Gründer Lutz Woellert und Björn Vofrei jedoch nicht wussten, was noch passieren wird, hat das Unternehmen Identitätsstiftung, die Organisationen im Wandel begleiten, die Hälfte ihrer damals 12 Mitarbeiter*innen zunächst einmal in Kurzarbeit geschickt. Rasch gab es Homeoffice und regelmäßige, digitale Formate zum Austausch. Lutz sagt, sie wollten dabei auf Sicht fahren und „transparent mit der Krise umgehen”.
- Eine außergewöhnliche Kombination
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Vor sechs Jahren haben Lutz und Björn die Identitätsstiftung gegründet. Lutz hatte davor in Hildesheim Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus studiert, kommt also aus einem kreativ-künstlerischen Kontext. Danach ging er in Richtung Unternehmensberatung: Er machte eine Weiterbildung in systemischer Organisationsentwicklung. In der systemischen Organisationsentwicklung geht man davon aus, dass ein Problem nur gelöst werden kann, wenn man sich mehrere Aspekte davon ansieht – und wenn die Menschen, die unter dem Problem leiden, etwa Mitarbeitende, selbst an der Lösung beteiligt sind. Die Unternehmensberater*innen schaffen dabei keine Lösungen, sie stellen stattdessen Fragen und helfen den Mitarbeitenden, die Lösungen selbst zu entwickeln. Beide Welten, die fragende und die schaffende, kombiniert Lutz in der Identitätsstiftung, die mittlerweile aus 16 Leuten besteht. Wenn sie Organisationen begleiten, die Zukunftsdynamiken spüren die ihnen Anlass zum Handeln geben, aber selber nicht wissen, was das bedeutet, kombiniert die Identitätsstiftung das Schaffende mit dem Reflektierenden und Innovations-Ansätzen.
- Anderen in der Krise helfen
- „Wir hatten zum Beispiel ein Projekt in einem Verkehrsunternehmen. Mit dem waren Workshops geplant, die wir im Lockdown natürlich alle absagen mussten. Wir merkten aber, dass der Kunde jetzt einen anderen Beratungsbedarf hatte, und haben angeboten, bei der Frage zu unterstützen, wie man gut durch die Krise kommt.” So konnte die Identitätsstiftung das Projekt in einer anderen Form halten und mit ihrer Expertise in „dynamischer Unruhe” helfen.
- Beschleunigte Entwicklung
- „Für uns war Corona ein Beschleuniger, unter anderem was Remote-Arbeit betrifft”, sagt Lutz. Das Unternehmen wollte ohnehin in diese Richtung, nun ging es gezwungenermaßen schneller. „Und wir wollen danach auch nicht mehr zurück ins Alte.” Dabei ist die Identitätsstiftung einen Schritt weiter gegangen als diejenigen, die sich einfach nur angepasst haben: Sie haben ihre Kompetenz bei digitalen Workshops ausgebaut. Aus den Erfahrungen dieser Workshops heraus, schafft das Unternehmen nun eine neue Bürofläche in Berlin, die so ausgestattet wird, dass sie für hybride Seminare funktioniert. „Diesen Ort gestalten wir aus der Krise heraus und erweitern dadurch unser Portfolio”.
- Zurück zu sich selbst
- „Wir haben die Krise aber auch genutzt, um selbst noch einmal in uns zu gehen.” Die beiden Inhaber Lutz und Björn haben sich zurückgezogen und bewusst noch einmal nachgedacht „Warum diese Firma? Was sind unsere Werte? Was ist uns als Menschen eigentlich wichtig? Und warum machen wir als Menschen das, was wir hier tun?” Daraus sei eine große Kraft erwachsen. Heute sei jedem in der Identitätsstiftung klar, nach welchen Werten Entscheidungen getroffen werden, um zum Beispiel auch mit Krisen umzugehen. „Mit persönlichen Krisen aber auch mit Unternehmenskrisen”, fügt Lutz hinzu. Er ist sich nicht sicher, ob das Unternehmen diesen Weg auch ohne Corona gegangen wäre. Doch die jetzigen Entscheidungen über die Identität der Firma und ihren Umgang mit Konflikten haben mitunter große Konsequenzen: „Wir haben zum Beispiel auch eine Kundenbeziehung beendet, weil die nicht mehr zu unseren Werten gepasst hat. Wir hätten da gutes Geld verdient, wir waren aber ständig genervt.” Inzwischen wisse das Unternehmen sehr gut, „welche Grenzen für uns nicht verhandelbar sind - persönlich und als Unternehmen.”
- „Zukunftseinkommen” für die Gesellschaft
- „Nachdem wir selbst sehr gut durch die Krise gekommen sind, haben wir beschlossen: Wir wollen der Gesellschaft auch etwas zurückgeben.” Unter dem Titel „Zukunftseinkommen” schrieb die Identitätsstiftung erstmals einen Betrag von 30.000 Euro in ihrem Netzwerk aus. Das Geld erhält, wer zum einen durch die Krise beeinträchtigt wurde und zum anderen bereit ist, Energie und Fähigkeiten in ein Vorhaben mit gesellschaftlichem Mehrwert zu stecken. „So einer Person wollen wir mit dem ‘Zukunftseinkommen’ ein Jahr lang Sicherheit geben.” Die Identitätsstiftung kann sich diesen Einsatz leisten. Und er schafft die Möglichkeit, dass etwas Neues entsteht, das im besten Sinne nicht vorhersehbar ist. Die ersten „Zukunftseinkommen” sind bereits vergeben: an zwei Unternehmerinnen, die gerade eine neue freie Schule gegründet haben.
- Was planbar ist
- „Das ist das erste Jahr, in dem wir auch Ziele setzen, was wir bis Ende des Jahres erreicht haben wollen.”Es ginge dabei darum, zu planen aber unterwegs auch darauf zu achten, was passiert. „Wenn man für 16 Personen verantwortlich ist, kann man ihnen so mehr Sicherheit geben.”. Wann welcher Schritt umgesetzt wird, ist jedoch noch nicht klar. „Das lernen wir aus Erfahrung zu beurteilen”.
- Loslassen + Handeln = Resilienz
- Für Menschen, die resilienter werden wollen, hat Lutz einen Tipp: „Arbeitet an euren Werten und klärt, was das für euch bedeutet.” Wenn Werte und Handeln übereinstimmen, dann entsteht Resilienz, ist Lutz überzeugt. In Krisen neigen viele dazu, reaktiv zu sein. Sie sind ängstlich und klammern sich am Alten fest. Doch damit nutzen sie nicht die transformative Kraft, die einer Krise innewohnt. Lutz und Björn wissen, wovon sie reden. Björn war in jungen Jahren sehr erfolgreicher Breakdancer – das hat ihn ausgemacht und davon hatte er gelebt. Durch eine Knieverletzung musste er jedoch das Tanzen aufgeben. Lutz hat ähnliche Erfahrungen aufgrund einer chronischen Erkrankung. „In einer Krise, in der man seiner Profession nicht mehr nachgehen kann, taucht die Frage auf: Was macht das mit meiner Identität, mit meinem Selbstverständnis?”, sagt Lutz. Es lohne sich, in Krisensituationen auf den Kern zu blicken und sich mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen. Und dann wird klar, warum ihr Unternehmen „Identitätsstiftung” heißt.