Interview
Amelie Künzler
Amelie Künzel: Urban Invention und Sisyfox
Platz für den Zufall
„Wenn das Leben uns Zitronen gibt, dann machen wir halt Limonade draus.“ Das hat für Amelie Künzel und ihr Partner Sandro Engel, Gründer von Urban Invention (2014) und der Sisyfox GmbH (2017), bisher gut funktioniert. Der Sisyfox ist eine Spielkonsole, die über eine Art Medizinball durch körperlich anspruchsvolle Bewegung gesteuert wird. „Wir haben beide Ausbildungen als Kreative. Ich glaube, wenn jemand Lösungen für Probleme findet, dann sind das wir Kreativen.“ Mit dem Beginn der Pandemie brachen die Umsätze für ihren Sisyfox von einem Tage auf den anderen weg. Auch ein Investor*innendeal wurde ausgesetzt. „Wir haben daher gesagt, lass uns die Idee mit dem Mobile Game jetzt umsetzen. Dann haben wir etwas zu tun und brauchen uns nicht so viel Sorgen zu machen.“
- Zeit, etwas Neues zu probieren
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„Wir hatten ja schon lange vor, ein Mobile Game zu entwickeln,“ erinnert sich Amelie, „und haben dann im April 2020 damit begonnen.“ die Gründer*innen nutzten dafür Rücklagen aus dem Vorjahr. Wegen Vorsichtsmaßnahmen gegen Corona musste die Produktionsstätte für den Sisyfox als Einrichtung für Menschen mit Behinderung zwischenzeitlich sogar einige Zeit schließen. Auch die Mitarbeiter*innen in der Software-Entwicklung gingen wegen der Pandemie für 3 Monate in Kurzarbeit, danach hatten sie für die Entwicklung des Mobile Games zu tun. Aber ist das nicht ein Risiko, während einer Krise zu investieren? „Der Vorteil war, dass wir nicht wussten, was kommt – keiner wusste, wie lange zum Beispiel die Freizeiteinrichtungen geschlossen haben werden“, sagt Amelie. Das Risiko war also ohnehin schon da. Denn die Freizeiteinrichtungen sind wichtige Kunden für Sisyfox. Amelie und Sandro wussten jedoch, dass sie das Jahr schon stemmen könnten. „Bisher haben wir immer einen Weg gefunden. Und wenn das, was wir machen, nicht funktioniert, dann gibt es immer noch genug Ideen, die wir verfolgen könnten.“
- Das Schlimmste, das passieren kann?
- „Das schlimmste wäre gewesen, wenn wir ein paar Menschen hätten gehen lassen müssen. Auch wenn sie mit ihren Skills sofort wieder einen anderen Job bekommen hätten. Es trägt zu unserem Grundvertrauen bei, zu wissen: Egal, was passiert, es wären immer noch alle gut aufgehoben.“ Auch ihr persönliches Risiko tragen die beiden Unternehmer*innen entspannt: „Wir leben in einem Land, in dem wir so unglaublich abgesichert sind. Als wir gegründet haben, haben wir gesagt, das Schlimmste was passieren kann, ist, dass sich halt einmal der Staat um uns kümmern muss und wir Hartz IV beziehen. Man muss hier nicht verhungern, nicht verdursten und wird auch nicht vor die Tür gesetzt, wenn man unternehmerisch etwas an die Wand fährt.“
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Neue Geschäftsmodelle als Hobby
- „Es ist mittlerweile ein Hobby von uns, uns Geschäftsmodelle auszudenken. Manchmal denken wir uns: Warum gibt es das noch nicht?”, erzählt Amelie. Manchmal würden auch Partner*innen und Kund*innen sie auf Ideen bringen, wenn sie von ihren Schwierigkeiten erzählen. Die Quellen für neue Ideen seien vielfältig und „auf langen Autofahrten erzählen wir uns von diesen Ideen. Davon sind dann immer genug da, um sie in Krisenzeiten wieder herausholen zu können.“ Es geht aber nicht nur um Ideen, weiß Amelie. Seit ihrer Zeit als Kultur- und Kreativpilot*innen sei ihr Selbstverständnis: „Wir sind Unternehmer. Das bedeutet, wir denken nicht in Ideen, sondern daran, ob wir ein Geschäftsmodell daraus machen können. Erst dann verfolgen wir etwas weiter.“ Auf den Wunsch von Kund*innen hätten sie zum Beispiel ein Interface entwickelt, mit dem die Kund*innen selbst Einstellungen am Sisyfox über das Smartphone vornehmen können. „Das hatte wir sonst immer voreingestellt. Aber mit dem Interface nehmen uns die Kunden jetzt eigentlich Arbeit ab.“
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Man kann die Zukunft nicht vorhersagen
- Amelie und Sandro planen. Sie wissen allerdings auch um die damit verbundenen Schwierigkeiten: „Wir haben in der Pandemie einfach wieder vor Augen geführt bekommen: Man kann die Zukunft nicht vorhersagen. Wir hatten die tollsten Zahlen für 2020 bis 2022 in unserem Businessplan ausgerechnet, wollten auf Kunden zugehen und wachsen. Das ist zwar schön, wenn du das vorhast, aber das heißt nicht, dass du es erreichst.“ Wichtiger Nachsatz: „Und das ist auch nicht schlimm, solange du auf dem richtigen Weg bist.“ Solange man ein gutes Team habe und die Mitarbeiter*innen sich sicher fühlen, auch wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, dann werde „am Ende schon meistens alles gut.“
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Ziele, die Spielraum lassen
- Eine unvorhersehbare Zukunft hat auch Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Amelie und Sandro mit Zielen umgehen: „Wir entwickeln Computerspiele und machen dafür Hardware und Software. Im Grunde geht es uns darum, mit dem, was wir gerne tun, Geld zu verdienen. Wenn wir nun aufgrund einer Pandemie keine Hardware mehr verkaufen können, dann müssen wir eben einen anderen Weg finden.” Etwa mit einem Mobile Game. Das erfüllt neben dem Ziel, Geld zu verdienen, auch noch ein weiteres Ziel: „neue Erfahrungen sammeln“ wie genau formulieren die beiden Kreativen die Ziele eigentlich? „Zwischen Weihnachten und Neujahr setzen Sandro und ich uns meist hin und fragen uns: Sind wir auf einem guten Weg? Was müssen wir anpassen? Unser Ziel ist ja nicht, Millionäre zu werden. Es geht uns darum, mit dem, was uns Spaß macht, Geld zu verdienen. Und wir wollen Menschen dabei spielerisch in Bewegung bringen. Das sind Ziele, die gar nicht so hart sind. Wir formulieren bewusst weichere Ziele, die etwas mehr Spielraum lassen. “Damit lassen sie auch dem Zufall Platz, einer „ ernst zu nehmende Größe“. Und das hat wiederum ->
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Auswirkungen auf den Businessplan
- „Ich glaube, wenn man Pläne macht, dann sollte man dem Zufall auch etwas Platz lassen – denn er wird eintreten.“ Also immer Reserven einplanen, um den negativen Zufall abzufedern? Nicht nur. Manchmal ist der Zufall eine Störgröße, manchmal entfaltet er aber auch eine positive, transformative Kraft. „Ich finde ihn immer eher inspirierend”, sagt Amelie. „Als ob das Universum etwas sagen möchte. Wenn man es so betrachtet, dann ist das eher eine Kommunikation: Ich gebe was rein, bekomme was zurück und kann dann meine Entscheidungen treffen. Man sollte sich auf jeden Fall nicht vom Zufall stressen lassen.“
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Scheiter- und Resilienz-Rezepte
- Was könnte man tun, um im Krisenfall nicht resilient zu sein? „Ganz genaue Pläne, am besten mit Datum und Euro-Zeichen haben ein Problem”, sagt Amelie. „Je genauer man plant, desto eher scheitert man damit.“ Mit auf ihrer Liste von schlechten Ideen in der Krise: sich schnell beeindrucken lassen. „Und dann am besten auch noch googlen, wie man Insolvenz anmeldet, anstatt zu googlen, wie man vielleicht noch an eine andere Finanzierung kommen kann.“ Amelie hat eine andere Strategie, um gut durch Krisen zu kommen: Ausgleich – eine halbe Stunde Yoga täglich. Viel „self care, so doof das Wort auch ist. Die Krise hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, sich zwischendurch gut um sich selbst zu kümmern. Je mehr Stress man hat, desto mehr Zeit muss man sich für sich nehmen. Nur dann kann ich auch etwas geben und eine gute Chefin sein.“