Interview
Sophia Hummler
Sophia Hummler: Designerin, ehemals MyCabin
„Ich habe mir die Frage gestellt: Wenn ich jetzt rausgehe, wäre das schlimm? Und ich bin zu dem Schluss gekommen: eigentlich gar nicht!“ Sophia Hummler ist eine der fünf Gründer*innen von MyCabin, einer Art AirBnB für die Camper-Szene. Ursprünglich ein studentisches Projekt hat MyCabin eine starke Entwicklung hingelegt. Das Startup hat im Laufe der Zeit aber auch immer mehr Ressourcen seiner Gründer*innen beansprucht. Oder wie Sophia es beschreibt: „Die Sache wurde größer und größer in einem atemberaubenden Tempo. Und irgendwann steckte dann alle Freizeit, die ich früher hatte, in diesem Projekt.“
- Sternenhimmel statt Lockdown mit MyCabin
- Für MyCabin hätte das Timing besser nicht sein können: Gerade als der persönliche Reiseradius durch Pandemie und Lockdowns massiv eingeschränkt war, arbeiten fünf Gründer*innen an einer Plattform, die ermöglicht, Stand- und Zeltplätze für Camper von privat zu privat zu vermitteln. Das Startup passte perfekt in eine Zeit, in der authentische Naturerlebnisse vor der eigenen Haustüre und eine Nacht unter dem Sternenhimmel einen guten Ausgleich zu Social Distancing und Mund-Nasen-Schutz boten. In den ersten Monaten ist den Erstgründer*innen viel von dem gelungen, was man mit der schillernden Startup-Szene verbindet: Sie haben Preise einkassiert, gute Presse bekommen, haben Investments eingesammelt, konnten erste Mitarbeitende gewinnen und waren im Frühling 2021 bei 15 bis 20 Leuten angekommen.
- Die dunkle Seite im Startup
- „Den Sommer 2021 wollten wir voll mitnehmen – das war der Plan. Schon zu Beginn des Sommers merkten wir aber: Die Zahlen sind zwar gut, aber unsere optimistische Annahme geht nicht auf. Die Menschen können und wollen ans Meer und nicht ins Allgäu. Ganz egal was wir taten, die Zahlen waren nicht so gut, wie wir uns das ausgemalt hatten.“ Als Gründerin identifizierte sich Sophia voll mit dem Unternehmen. „Ich war aber nicht in einer geschäftsführenden Rolle – konnte Richtungsentscheidungen letztlich nicht selbst treffen.“ Wenn Sophia ihre Geschichte erzählt, kommt das Wort „Druck“ sehr oft vor. „Das ganze Team hatte ständig Druck. Wir haben uns laufend gefragt, wie schnell müssen wir das schaffen? Wie schnell müssen wir wachsen? Wie können wir den Pandemie-Boom optimal mitnehmen?“ Das ging gut, solange sich ein Erfolgserlebnis auf das andere folgte. Doch dann kamen Rückschläge. „Dem Geschäftsmodell mangelt es eigentlich nicht an Resilienz.“ sagt Sophia heute. „Aber was in dieser Situation auch resilient sein muss, sind die Personen im Gründerteam – die Leute, die dahinterstehen.“
- Den Spaß an der Arbeit verlieren
- „Ich hatte plötzlich ganz viele Aufgaben, die einfach gemacht werden mussten. Die will man dann auch nicht den Mitarbeitenden geben. Die sollen ja Spaß haben. Ich saß dann vor diesem Berg an Aufgaben und erkannte: Glücklich war ich eigentlich schon länger nicht mehr.“ Dann fiel einer der Gründerkolleg*innen krankheitshalber länger aus. Das gab letztendlich den Ausschlag für eine größere Umstrukturierung mit dem Ziel, die Kosten zu senken, damit das Geld länger reicht. „Ich habe in dieser Zeit das erste Mal seit sehr Langem eine Woche Urlaub gemacht. Da habe ich Dinge gemacht, die mir Spaß machen: Den Stift in die Hand nehmen, mit Leuten unterhalten, die ganz etwas anderes machen … ich kam richtig Zen zurück.“ Das hat nicht lange angehalten. „Als wir die nächste Woche von der Reduktion von Mitarbeitenden sprachen, fiel dann auch mein Name. Das war ein richtiger Schock für mich. Schließlich war das Unternehmen in den letzten beiden Jahren so raumgreifend in meinem Leben gewesen – all meine Gedanken kreisten darum.“
- Das Ende einer Beziehung
- Den Schock vergleicht Sophia mit dem eines möglichen Endes einer Beziehung. Sie erlaubte sich, darüber traurig zu sein und die Trauer auch auszuleben. „Ich habe mich aber auch gefragt, wo ich meine Freude wiederfinde. Wie komme ich wieder dorthin, wo ich nicht mehr darüber nachdenke, ob das, was ich gerade tue, Arbeit oder Freizeit ist?“ Doch es ist nicht so leicht, eine Beziehung zu beenden – auch wenn die Beziehung toxisch ist. „Ich wusste, wenn ich hier jetzt rausgehe, dann kann ich daran zerbrechen oder als gestärkt Person daraus herausgehen. Und ich wollte gestärkt herausgehen.“ Für Sophia war das Grund genug, sich Hilfe zu holen. Sie nahm sich ein Coaching. „Mein großes Ziel war, über die Zeit bei MyCabin rückblickend sagen zu können: Das war wirklich cool und ich bin stolz drauf. Und eben nicht: Fuck, ich bin gescheitert oder habe nicht mein Bestes gegeben.“
- Wieder bei mir angekommen
- „Ich bin Vollblut-Designerin. Ich möchte gestalten. Ich liebe den Startup-Vibe, aber den kann ich auch außerhalb des eigenen Startups erleben.“ sagt Sophia heute. Im Coaching wurde ihr einiges klar. „Ich studiere ja eigentlich noch im Master Kommunikationsdesign, hatte aber keine Zeit für den Abschluss. Ich mag meinen Beruf als Designerin, mag mein Studium. Und ich bin gerne eine klassische Kreative, die gerne einen Stift in die Hand nimmt.“ Dann dann ging alles schnell. Zwei Wochen später hatte die Designerin sich von MyCabin getrennt und selbständig gemacht. „Davor habe ich noch bei meinen Eltern angerufen und angemeldet, dass jetzt noch eine haarige Phase kommen könnte. Die haben gesagt:’Du machst das schon.’“ Zum Zeitpunkt dieses Gesprächs arbeitet Sophia für drei Startups, die sie in der Entwicklung ihrer Unternehmenserscheinung begleitet. Sie illustriert, macht das Branding und kann von sich sagen: „Ich bin damit total happy.“
- Glücklich auf getrennten Wegen
- MyCabin ist zwar geschrumpft, das Team ist jedoch wieder hoch motiviert. Auch die Investor*innen stehen voll hinter dem Startup. Sophia sagt: „Die ziehen sich gerade die Laufschuhe an und bereiten sich auf den Marathon vor, der vor ihnen liegt“. Es ist nicht der Marathon von Sophia. „Das haben vor allem die Menschen in meinem Umfeld gemerkt, ich nicht. Ich war voll in der toxischen Beziehung, die man nicht mehr genießt, aber aus der man auch nicht mehr herauskommt.“ Heute ist für sie klarer: „Als Kreative ist in meiner Arbeit so viel Herz und so viel meiner Identität drin, dass es nicht erträglich für mich ist, wenn ich mit der Arbeit nicht glücklich bin.“ Die Kraft, um ihre Identität in die Arbeit zu stecken, zieht Sophia aus vielen Aspekten des Lebens als freie Kreative: „Ein wertschätzendes Miteinander mit meinen Kunden, dass ich mich kreativ ausleben kann und dass ich junge Unternehmen dabei unterstütze, sich darzustellen. Ich hab die Freiheit, mir die Arbeit selbst einzuteilen. Ich kann Freizeit haben und Freunde treffen ohne Zeitdruck!“