Interview
Julian Schneider
Julian Schneider: Wilco Design GmbH
„Wenn das, was du machst, in der Außenwelt so gut ankommt, dann bekommst du ständig ermutigende Rückmeldungen. Du selbst kennst die Innenseite und bist oft im Zweifel, ob du wirklich auf dem richtigen Weg bist.“ Mit Wilco Design bauen und vermarkten der Wirtschaftswissenschaftler Julian Schneider und der Pilot Marius Krämer Möbel und Design-Objekte aus Flugzeugteilen im Upcycling. Die beiden haben sich in einem Flugsimulator kennengelernt und ihre Passion zum Beruf gemacht. „Wir machen das, weil wir fürs Fliegen und für Flugzeuge brennen. Wir holen aber nichts vom Himmel runter, was noch fliegen könnte.“ Ihre Produkte faszinieren auch, wenn man Fliegen nicht spannend findet.
- Corona-Effekt oder solides Wachstum?
- Die Produkte auf ihrem Onlineshop flugzeugmoebel.de sind allesamt Luxusgüter. „Einen Schreibtisch aus einer Tragfläche oder eine Vitrine aus Flugzeugfenstern braucht wirklich kein Mensch“, weiß auch Julian. „Aber auch die, die sich unsere Produkte leisten können und wollen, haben zu Beginn der Pandemie große Unsicherheit die Zukunft betreffend empfunden und auf alle Ausgaben verzichtet, die nicht unbedingt nötig waren. Unser Umsatz ist stark eingebrochen. Am Ende des Jahres hatte sich die Lage für alle entspannt und wir hatten dann schlussendlich einen sehr, sehr erfolgreichen Herbst. Ich hoffe, dass dabei auch solides Grundwachstum mitschwingt und es nicht nur der Corona-Effekt ist.“ Die Zahlen seien vielversprechend, aber das sei nicht immer so gewesen. Denn aus einer kreativen Idee ein profitables Geschäft zu machen, geht nicht von heute auf morgen.
- Mythen und Fakten rund um den Startup-Hype
- „Viele der romantisierten Storys über Start-Ups von wenig Arbeit und viel Umsatz sind einfach falsch“, meint Julian, der durch sein Studium von BWL, Accounting und Finance an der Universität St. Gallen (HSG) guten Zugang zur Szene hat. „In der Realität ist es einfach viel Arbeit, bis man an einen Punkt kommt, wo man sagen kann: Das trägt sich.“ Die Medien würden unrealistische Erwartungen schüren, doch „wenn man ein Startup gründen will im Glauben, man macht rasch und einfach einen Haufen Geld, da muss einmal ein Realitäts-Check her.“ Um ihr Projekt vorantreiben zu können, war viel persönlicher Verzicht notwendig. „Wir Gründer sind in der glücklichen Lage, dass wir von Erspartem leben konnten und uns unser Gehalt nicht von Anfang an ausbezahlen mussten.“
- Mythos Risikokapital
- „Heute sind wir stolz drauf, dass wir eigentlich schon ganz gut dastehen und in der frühen Phase keinen Investor reinholen mussten. Wir haben alles aus dem Cashflow bezahlen können.“ Warum so, wenn doch Gründer*innen wie Politik händeringend mehr Risikokapital fordern? „Wir müssen den Leuten immer noch erklären, dass es so etwas wie unser Produkt gibt“, sagt Julian. „Da hätten wir uns nicht wohl dabei gefühlt, auch noch einen Investor an Bord zu nehmen. So konnten wir für uns erst einmal einen Proof of Concept durchführen.“ Nach der Gründung als UG im Jahr 2017 hat sich das Kreativ-Unternehmen in der deutschsprachigen Flieger*innenszene allerdings bereits eine gewisse Bekanntheit erarbeitet. Auch mit Miles & More der Lufthansa und einigen Architekt*innen gibt es solide Partner*innenschaften.
- Physische Produkte = handfestes Risiko
- Vieles, was ein erfolgreiches Geschäft ausmacht, sieht man im Webshop nicht. „Um zum Beispiel unversehrte Flugzeugteile zu bekommen, mussten wir über lange Zeit eine Vertrauensbasis mit den Airlines aufbauen. Sonst bauen die für uns keine Teile aus alten Maschinen aus, bevor die Schrottpresse ansetzt.“ Alte Flugzeugteile wurden in der Vergangenheit auch am Schwarzmarkt veräußert, was verheerende Folgen für die Flugsicherheit hatte. Daher muss sichergestellt sein, dass die Teile tatsächlich in Möbeln und nicht in falschen Händen landen. Marius und Julian sorgen auch dafür, dass alle Teile unbrauchbar gemacht sind, bevor sie in ihr Lager aufgenommen werden. „Die Rohteile müssen wir natürlich erst einmal bezahlen und in unser Lager legen, lange bevor ein Kunde etwas für das Produkt bezahlt.“ Das sei ein wesentlicher Unterschied zu reinen Dienstleistungen. Ihre größte emotionale Hürde nahmen die Gründer allerdings anderswo: „Das größte empfundene Risiko ist, wenn du deinen ersten Mitarbeitenden einstellst.“
- Wenn es eng wird
- Mit der Pandemie 2020 war für Julian vor allem wichtig, „niemand zu entlassen und niemand in Kurzarbeit schicken zu müssen.“ Dieses Gefühl kannte der erfahrene Kreativunternehmer bereits. 2018 wurde es schon einmal richtig eng mit dem Cashflow. „Da hatten wir so eine Phase, in der wir nicht wussten, wie es überhaupt weitergehen soll und wie wir die Löhne zahlen können. Wir haben uns damals vor die Mitarbeitenden gestellt und gesagt, das ist Fakt: Wir können jetzt gerade die Löhne nicht zahlen und verstehen jeden, der das Unternehmen deswegen verlassen will.“ Laut Julian haben sich aber alle hingestellt und gesagt, dass sie bleiben, die Situation gemeinsam durchstehen.
- Entspannung im Kopf
- „Ich lag Ende 2018 aufgrund dieser Belastung über die Weihnachtsfeiertage krank zu Hause. Da habe ich dann entschieden, ins Fitnessstudio zu gehen – und mehr auf meinen Körper und meinen Geist zu achten.“ Julian hat hier eine Lektion gelernt. „Ich habe auch mit einem alten Hobby, dem Golfen, wieder angefangen. Das bedeutete für mich: Wieder rauskommen und mir die Zeit für mich nehmen.“ Es gehe dabei um Dinge außerhalb der unternehmerischen Tätigkeit, die auch intellektuell fordern. „Ich spiele seit dem zarten Alter von vier Jahren Geige. Es sind die drei Dinge, die ich zum Ausgleich tue: Sport, Golf und Geige. Bei Golf und Geige kann ich nichts anderes tun oder denken – das ist wie Urlaub für das Gehirn.“
- Kein Selbstzweck
- „Man führt ein Unternehmen ja nicht nur für sich. Man ist in einem Boot gemeinsam mit den Mitarbeitenden.“ Julian ist wichtig, dass sich Mitarbeiter*innen einbringen können. Er stelle am liebsten nur Menschen ein, für die er selbst im Zweifelsfall auch arbeiten würde. „Ich kann dann, wenn es einmal schwierig aussieht, nicht einfach Leute wegschicken oder in Kurzarbeit schieben.“ Dafür sei es wichtig, dass das Geschäftsmodell auch Resilienz unterstützt. „Wir fertigen sehr individuelle Produkte und machen diese daher auch nicht auf Rechnung. Einen individuell gefertigten Tisch aus einer Tragfläche kann ich dann auch keinem anderen verkaufen.“ Das war am Anfang schwierig, aber mittlerweile ist das Vertrauen auch seitens der Kund*innen aufgebaut.
- Über den Berg?
- Ob das Unternehmen nun über den Berg ist? „Das ist schwer zu sagen. Im Moment sieht es sehr gut aus, aber externe Faktoren mit so massiven Auswirkungen wie Corona können wir natürlich auch in Zukunft nicht vorhersehen. Und was heißt „über den Berg“? Wenn man so denkt, dann trifft es wahrscheinlich genau nicht zu. Man will ja nicht über den Berg sein, sondern das Unternehmen weiterentwickeln.“ Jetzt ist Julian auch bereit über eine*n Investor*in nachzudenken, denn für die nächste Wachstumsphase wird mehr Kapital benötigt und der Proof of Concept ist erbracht.