Interview
Robin Höning
Robin Höning: endboss GmbH
Resilient durch ergebnisoffene Prozesse
„Ich bin zwar Planer und habe Architektur und Stadtplanung studiert. Aber die Entwicklung einer Stadt kann man nicht planen“, weiß Robin Höning, einer der vier Gesellschafter*innen der endboss GmbH. Die interdisziplinäre Planungskollektiv für Raumfragen und -antworten wurde 2013 gegründet und hat heute 15 angestellte Mitarbeitende. „Niemand weiß wie sich Städte entwickeln und keiner soll behaupten, dass er es wüsste.“ Seine Masterarbeit hatte – lange vor Corona – ein drängendes Thema: Der Faktor der Unvorhersehbarkeit in der Stadtentwicklung. Vom Fall der Berliner Mauer über Wirtschaftskrisen, demographischen Wandel und vieles mehr kann Robin jede Menge Belege für seine These bringen. „Und ich würde mir wünschen, dass die Planer- und Architekten-Community damit ein bisschen ehrlicher umgeht.“
- Pandemie ist im Alltag nervig
- Wie bei vielen, sorgte die Pandemie bei endboss für Veränderung mit Umwegen. Da war zum Beispiel dieser Doppeldeckerbus, den endboss vor Corona für verschiedene Formate eingesetzt hat. „Für eine Ausstellung in Berlin haben wir ihn als fahrende Redaktion genutzt. Die Teilnehmenden haben eine Stadtrundfahrt gemacht und unterwegs ein Magazin produziert. Den Bus mussten wir pandemiebedingt einlagern da Formate, bei denen sich Menschen tatsächlich begegnen, leider derzeit nicht möglich sind.“ Ein weiteres Beispiel: „Für das Festival Theaterformen in Hannover hatten wir uns eine gigantische Installation ausgedacht, für die eine vierspurige Straße gesperrt wurde. Mit einem riesengroßen Spiegel hatten wir einen Teil der Brücke optisch entfernt. Nach langem hin und her konnte das Festival zwar durchgeführt werden, aber statt der gedachten tausenden Besucher durften coronabedingt leider nur 200 Personen gleichzeitig teilnehmen.“
- Eine Herausforderung für die Personalplanung
- Auch die eigene Konferenz von endboss für experimentelle Stadtentwicklung – gedacht als Festival – musste verschoben werden. „Das bedeutet, dass man die Arbeit mehrmals machen muss. Wir hatte drei, vier Leute Vollzeit eingeplant. So ein Projekt mitten in den Vorbereitungen auf Eis zu legen, ist natürlich schon eine Herausforderung.“ Es gibt für Robin allerdings wenig, was man daraus allgemein für die Zukunft lernen könnte. Endboss mache jedoch keine unbefristeten Arbeitsverträge mehr, sondern projektbezogene. „Wir haben total tolle Leute und wir wünschen uns natürlich, dass wir alle behalten können.“ Eine Maßnahme der unternehmerischen Vernunft, auch wenn damit das Risiko besteht, dass Mitarbeiter*innen nach einem Projekt andere Wege gehen.
- Doch die Baubranche boomt … noch
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Trotz Corona ist endboss gewachsen. Wie geht das? „Einerseits profitieren wir davon, dass die Baubranche boomt. Manche Aufträge und Projekte, die wir schon vor der Pandemie begonnen haben, gehen über mehrere Jahre. Hinzu kommen laut Robin die diversen und häufig wechselnden Beschränkungen, wie viele Menschen sich in Innenräumen treffen dürfen. Der öffentliche Raum gewinnt dadurch an Bedeutung und wird auch im Alltag der Menschen immer wichtiger. Das ist ein Themenfeld, das uns schon sehr lange interessiert und in unserer Arbeit seit Jahren und schon vor der Pandemie eine große Rolle gespielt hat.“ Die Pandemie käme in der Branche zwei Jahre verzögert an, zitiert Robin die Bundesarchitektenkammer. Die Haushalte, die während der Pandemie (Stand Ende 2021) beschlossen werden, würden wahrscheinlich nicht mehr so üppig ausfallen. Dieser Vorhersage kann Robin einiges abgewinnen. „Da bin ich gespannt, ob man in der Kultur- und Stadtentwicklung weiter Experimente zulassen wird.“
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Eine Zukunft gestalten, die man nicht kennt
- Laut Robin hat sein Professor einmal zu ihm gesagt: „Robin, jeder weiß zwar, dass man die Zukunft nicht vorhersehen kann. Keiner kann behaupten, dass er wüsste, wie sich eine Stadt entwickelt wird. Aber wenn du Geld verdienen willst, dann musst du so tun, als könntest du das, einfach um überhaupt Aufträge zu bekommen – so machen das alle.“ Man müsse eben sagen: “Hier ist mein Entwurf und genau so werden die Menschen diese Stadt, diesen Platz, dieses Gebäude die nächsten 100 Jahre nutzen.” Es ginge also vor allem darum, ausgedachte Lösungen zu verkaufen. Robin sieht das anders und hat viel dazu zu sagen, wie man eine Zukunft gestaltet, die man nicht kennt. Schließlich ginge es darum „gestalterische Entscheidung für eine ungewisse Zukunft zu treffen.“ Es sei dabei wichtig, „dass am Anfang aller Überlegung das Ergebnis offen ist. Der Architekt und die Architektur müssen dafür eben auch unvorhersehbar bleiben.“
- Ergebnisoffene Prozesse
- Ergebnisoffene Prozesse sind in der Raumentwicklung allerdings nicht immer gewünscht. „Gerade wenn man mit künstlerischen Methoden um die Ecke kommt, dann hört man schon manchmal von Auftraggebenden: ‘Oh nö, können Sie nicht bitte einfach einen normalen Beteiligungsworkshop machen, sonst wissen wir ja gar nicht, was da am Ende bei rauskommt.“ (Originalzitat)’ Doch das ist genau der Sinn der Übung und es ist geradezu absurd von etwas anderem auszugehen und schadet der Glaubwürdigkeit, vor allem wenn Bürger*innen beteiligt werden sollen.“ Gerade weil man nicht sagen kann, was eine gute Lösung für die jeweilige Situation ist, müsse man sich auf einen ergebnisoffenen Prozess einlassen. „Es fehlt also oft der Raum, in dem wir gemeinsam denken und diskutieren, um danach zum Entscheiden, Machen und Handeln kommen zu können.“ Endboss ist es daher wichtig, auch in der Beteiligung von Bürger*innen neue Wege zu gehen, die über die in der Branche durchaus gängige Pseudo-Beteiligung hinausgehen.
- Die resiliente Stadt
- „Wir sprechen mittlerweile auch von der resilienten Stadt, die einen integrierten, ortsbezogenen Ansatz auf mehreren Ebenen verfolgt“, erzählt Robin mit Verweis auf die Charta von Athen, einer europäischen Leitlinie für Stadtentwicklung. „Dazu müssen wir Städte so gestalten, dass sie anpassungsfähig sind. Wenn ich zum Beispiel in einen Park ein Spielgerät hinstelle oder einen Fußballplatz baue, dann können diese auf genau eine Art und Weise benutzt werden. Oft ist der ganze öffentliche Raum vollgestopft mit Dingen und Flächen, deren Funktion genau definiert ist. Wenn sich nun die Bedürfnisse ändern oder im Planungsprozess Nutzer*innen schlicht vergessen oder ignoriert wurden, dann ist für sie kein Platz mehr und diese Orte veröden ungenutzt.“ Etwas zu planen, das nur funktionieren kann, wenn alles so bleibt wie es ist, sei dann eigentlich das Gegenteil von Resilienz. Die Herausforderung besteht also zunächst einmal darin, dass das gebaute Objekt auch in der Zukunft möglichst lange und von möglichst vielen gebraucht und benutzt wird. Die Frage ist nur: Woran soll man sich bei der Planung orientieren, wenn die Zukunft unvorhersehbar ist? Auf Diversität. „Wenn Plätze undefiniert gestaltet sind und Gebäude so gebaut sind, dass sie unterschiedlich genutzt werden können, dann können sie unterschiedliche gesellschaftliche Entwicklungen tragen. Und dann können wir anfangen, von einer resilienter Stadt zu sprechen.“
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Unternehmerisch dumm?
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„So wie wir arbeiten, ist das unternehmerisch eigentlich dumm“, reflektiert Robin das eigene Unternehmen. „Jedes unserer Projekte steht für sich und ist auch immer neu. Wenn wir ein Projekt in Dresden oder München machen, oder in einer kleinen Gemeinde im Osten – dann herrschen dort unterschiedliche Voraussetzungen. Wir müssen uns, um unserem Anspruch zu genügen, immer wieder neue Ansätze und Formate ausdenken, von denen wir glauben, dass sie der Aufgabe gerecht werden.“ Gibt es also gar keine Möglichkeit, zu skalieren? „Es hätte schon Projekte gegeben, da hätten wir das Format einfach vervielfältigen und – genau wie viele andere Büros das machen – über Jahrzehnte in unzähligen Städten wiederholen und verkaufen können,“ räumt Robin ein, „doch das würde uns keinen Spaß machen und dafür treten wir auch nicht an. Das ist nicht der Geist von Gestaltung. Das effizienzgetriebene Skalieren und Reproduzieren betrachten wir eher als Problem in unserem Berufsfeld. Würden wir da nicht bei unseren Überzeugungen bleiben, müsste ich auch nicht selbstständig sein. Das wäre auf jeden Fall bequemer.“ Vielfalt ist zwar nicht effizient, hat aber ganz andere Vorteile: „Wir machen eigentlich nichts zweimal. Wir verstehen uns nicht als Dienstleister*innen sondern als Kompliz*innen. Und so entwickeln wir am liebsten gemeinsam mit unseren Partner*innen (aka Auftraggeber*innen) genau das, was jeweils dem Projekt und der Herausforderung entspricht. Die Projekte, die wir mit unserer Herangehensweise umsetzen, sind genau deshalb so vielfältig. Ich denke wir sind auf diese Weise gut aufgestellt in einer ungewissen Zukunft handlungsfähig zu bleiben.“