Interview
Martin Horst
Martin Horst: 13°, Jackle & Heidi und ljm noova
Wir sind gewohnt, die Perspektive zu wechseln
„Das ist eigentlich unser wichtigstes Learning aus den letzten Jahren: Am Ende kommt immer etwas Gutes dabei heraus. Die Fallhöhe muss unterwegs allerdings überschaubar bleiben.“ Martin Horst weiß, wovon er redet. Mit seiner Lebenspartnerin Franziska Göttsche hat der Kreativunternehmer aus Neubrandenburg mittlerweile nicht nur zwei Kinder, sondern auch drei Unternehmen mit insgesamt rund dreißig Mitarbeiter*innen.
- Ein Unternehmen aus einer Sitzkrise gründen …
- Vor ein paar Jahren ging aus der Crossmedia-Agentur 13°ein Eisladen hervor. Eine ganz eigene Geschichte: „Die Idee entstand während einer sehr sehr langen Autofahrt. Wir sind beide auf dem Land auf dem Bauernhof groß geworden und haben einen persönlichen Zugang zu Lebensmitteln.“ 2016 begannen die beiden deswegen, unter der Marke Jackle & Heidi Eis aus natürlichen Zutaten zu produzieren und zu verkaufen – in der ersten Vorstellung mit einem alten italienischen Eisfahrrad. Mit ihren mittlerweile rund fünfzehn Mitarbeiter*innen produzieren die beiden heute aber nicht nur Eis – es gibt ein Café in dem sie unter anderem auch Brot, Kuchen und Kekse aus natürlichen und größtenteils regionalen Zutaten und eigener Produktion anbieten.
- … und aus Notsituationen neue Produkte machen
- „Etwas Neues entsteht bei uns oft aus einer Notsituation oder den Umständen heraus. Wir haben zum Beispiel Kekse gesucht für unser Cookie-Eis. Wir haben dem regionalen Bäcker gesagt, was genau wir brauchen. Der hat aber gesagt: Geht nicht. Da mussten wir es halt selber ausprobieren und machen. Die Kekse haben wir dann auch zum Kaffee serviert. Und später abgepackt und verkauft.“. Martin hat viele solche Geschichten, denn „so entstehen bei uns halt immer neue Produkte.“ Während Martin mit der Marken-Agentur gar nicht wachsen möchte, wächst die Lebensmittelproduktion stetig. Als Drittes kam 2021 Jahr noch ein Unternehmen dazu, das sich mit partizipativen Prozessen in Regional- und Stadtentwicklung auseinandersetzt. Aber das ist eine andere Geschichte…
- Eine Kuh vom Eis holen …
- „Franzi hat gesagt: Ich kümmere mich jetzt einmal um die Kinder und du versuchst, irgendwie die Kuh vom Eis zu holen“, beschreibt Martin den Beginn der Pandemie. Wie andere Gastrobetriebe musste auch das Café schließen „Wir wussten, die Leute kommen nicht mehr raus und sitzen alle zu Hause. Wir hatten aber noch einen Eis-Truck, mit dem wir vorher auf Events gefahren sind. Wir haben also gesagt: Lass uns mit dem Eis-Truck über die Dörfer fahren. Wir haben einen Haufen regionale Produkte mitgenommen für den täglichen Bedarf. Das hat uns auch in den Monaten wirklich gut über die Runden gebracht. Die Mitarbeiter hatten so eine Perspektive und das war so eine schöne Dynamik.“
- … und daraus einen Großhandel machen
- „Das war zuerst einfach eine coole Geschichte, als wir relativ schnell spontan Dinge gemacht haben. Daraus resultiert, dass wir jetzt quasi einen Großhandel aufbauen.“ Martin schwärmt von regionalen Zutaten, Premium-Produkten, die von Menschen mit viel Herzblut hergestellt werden. „Wir nahmen da dann auch das Eis von unserem Nachbarn mit, nicht nur unseres. Wir wollen ja zeigen, wir arbeiten miteinander, nicht gegeneinander.“ Die Haltung, offen auf andere zuzugehen und in Co-Kreation zu gehen, rechnet sich: „Das hat am Ende auch dazu geführt, dass wir viel Aufmerksamkeit und gute Presse bekommen haben. Und dadurch sind dann wieder andere auf uns aufmerksam geworden, die sich dann gemeldet haben und jetzt unser Eis verkaufen. Es ist wie ein Zirkel.“
- Auf das Bauchgefühl hören …
- All diese Geschichten zeigen: Martin geht wie viele Kreativ-Unternehmer*innen Risiken ein, hat mehr Ideen als Zeit. Welche Ideen er und Franziska umsetzen, entscheiden sie „sicher nicht mit BWL-Methoden”. Stattdessen gehen sie dabei weg vom Rationalen. „Die Entscheidungsgrundlage ist Bauchgefühl: Fühlt sich das gut an, wenn wir das machen?“ Sicher dürfen sich die Dinge im Laufe des Machens verändern. „Wir haben zum Beispiel, während alles dicht war, eine Bäckerin eingestellt, die sich bei uns beworben hatte. Wir dachten: Richtig gutes Brot, das wäre doch etwas und haben das dann einfach getestet. Wir rechneten kurz durch, ob wir das kompensieren können, wenn wir zwei Jahre Aufbauarbeit leisten und daraus nichts wird. Und wir schauten, dass wir die Bäckerin andernfalls hybrid, also für andere Tätigkeiten, einsetzen können. Die Bäckerin ist zum Beispiel auch Konditormeisterin und kann Hochzeitstorten. Und sie arbeitet notfalls zwischendurch in der Produktion mit.“
- … und bei größeren Investitionen die Fallhöhe begrenzen
- Bei größeren Investitionen sieht die Sache allerdings etwas anders aus. „Für die Eisproduktion lassen wir gerade eine Maschine entwickeln, die es so noch nicht gibt. Wenn wir dafür 300.000 Euro investieren, dann hilft uns Bauchgefühl nicht so viel weiter“, sagt Martin. Hier käme es sehr wohl darauf an, eine Kosten-Nutzen-Rechnung zu machen und durchzurechnen, inwiefern die Maschine die Effizienz steigern wird und wie sich das Entwicklungsrisiko durch den Werkvertrag beim Hersteller absichern lässt. „Wenn du fast vierzig Mitarbeiter hast, dann möchtest du auch pünktlich Gehälter zahlen können. Da hilft es, sich mit alten Hasen in der ‘Old Economy’ auszutauschen, Erfahrungen zu erfragen, Ängste zu benennen und zu überlegen, wie sich das auf unsere Unternehmungen übertragen lässt.“
- Perspektivwechsel lernen
- Was würde Martin Horst den Kolleg*innen aus der Kreativwirtschaft raten, um gut mit Krisen umzugehen? „Das kommt so sehr auf die Ausgangslage an. Ich würde aber auf jeden Fall zuerst erkunden, wer ich bin, was ich kann, was ich nicht kann, was mich unter Druck setzt und wo mir etwas leicht fällt. Ich habe zum Beispiel im Agenturgeschäft gelernt, Perspektivenwechsel zu machen. Da haben wir keinen Branchenfokus und müssen uns in unterschiedlichste Problemstellungen hineindenken. Durch das permanente Einnehmen anderer Perspektiven fällt uns immer etwas ein, wie es weitergehen kann. Da haben wir zum Beispiel im Tourismus etwas gelernt, was wir im Maschinenbau brauchen können.“ Perspektivwechsel und ein Koffer voller Wissen ist jedoch nicht das alleinige Erfolgsrezept. „Das Vertrauen darauf, was ich kann, hilft mir dabei, die vermeintliche Gefahr nicht als Gefahr zu sehen, sondern in dem Moment einfach nur als Problemstellung, die es zu lösen gilt.“