Interview
Franziska Schmid
Franziska Schmid: Junge Tüftler*innen
„Wir sind keine IT-Firma, keine Design-Agentur und auch keine Coding-Schule – wir haben uns etwas Eigenes ausgedacht. Wir haben unsere Arbeit einfach erfunden. Damit finanzieren wir nicht nur unser Leben, sondern auch das von anderen Menschen. Und entfalten dabei auch noch Wirkung. Das macht mich sehr glücklich.“ Franziska Schmid ist eine der beiden Gründerinnen der Jungen Tüftler*innen. Nach Stationen bei einem Automobilkonzern und einer klassischen Agentur hat die Designerin 2015 ihren Job gekündigt, um mit Julia Kleeberger ihr eigenes Ding zu machen, mit der sie schon in der Vergangenheit zusammengearbeitet hatte. Mittlerweile bieten Junge Tüftler*innen von Workshops über Ferien-Camps bis zu Fortbildungen für Multiplikator*innen unterschiedlichste Formate an, damit die Teilnehmenden erfahren können, wie sie „digitale Werkzeuge” für sich nutzen können. „Wir befähigen dabei Menschen aller Altersgruppen dazu, ihren Ideen Form zu geben, die (digitale) Welt zu einem schöneren Ort zu machen und gemeinsam eine nachhaltige Zukunft zu gestalten.“
- Krisenfest durch Diversität
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„Da wir mit unserem Kundenstamm so vielfältig aufgestellt sind, sind wir nicht abhängig von Schulen oder bestimmten Branchen. Auch unser Team ist sehr divers aufgestellt.“ 30 Personen arbeiten bei den Jungen Tüftler*innen in Düsseldorf und Berlin in unterschiedlichen Bereichen. Klassische Jobs schreibt das Unternehmen kaum aus. „Manchmal ist das schwierig,“ räumt Franziska ein, „weil unklar ist, wer sich bewerben soll. Aber andererseits macht uns das krisenresistent. Unsere Leute sind gewöhnt, kreativ, agil und pragmatisch auf anspruchsvolle Situationen zu reagieren. Die Pandemie hat für uns zum Beispiel kaum unüberwindbare Probleme ausgelöst.“ Jedoch: „Eine Herausforderung, die uns tatsächlich beschäftigt, ist die Frage, wie wir uns als Organisation aufstellen.“
- „Hilfe, wir wachsen!”
- „Julia und ich hatten vor unserer Gründung nie in einer Organisation oder unter einem Führungsstil gearbeitet, bei dem wir gesagt hätten: Wow, großartig!“ Mit dem Vorsatz „wir machen das besser“ stürzten sich die beiden in ihre eigene Gründung. Dank spannender Projekte wurden aus inhaltlichen Herausforderungen bald organisatorische: „Wir sagten: ‘Toll, wir wachsen!’ Und gleichzeitig auch: “Hilfe, wir wachsen! Was jetzt, wenn man da auch noch idealistische Ideen im Kopf hat?“ An die Grenze kamen die beiden bei in etwa 15 Mitarbeiter*innen. „Uns ist bewusst geworden, dass wir uns mit der Organisationsform beschäftigen müssen. Weil in unserem Umfeld Themen rund um New Work omnipräsent sind, waren wir da aber auch kein unbeschriebenes Blatt und hatten einen gewissen Anspruch an uns selbst.” New Work beschreibt eine ganze Reihe von Arbeitsweisen, die auf Selbstbestimmung, Selbstorganisation und Sinn der Arbeit basieren. Dabei nutzt New Work Digitalisierung und ist stark auf die Bedürfnisse junger Generationen zugeschnitten. Allesamt Ansprüche, denen die Jungen Tüftler*innen gerecht werden wollten. „Wir wollten auch in der Unternehmensführung die ‘neue Welt’ zum Leben erwecken.“
- Ich war noch niemals in New Work
- „Wir sind heute in Kreisen und Rollen organisiert, angelehnt an Holokratie.“ erklärt Franziska. "Bei der Holokratie gibt es keine klassische Hierarchie sondern Rollen mit Entscheidungskompetenzen, die sich die Mitglieder der Organisation untereinander aufteilen." „Wir passen das Modell aber immer weiter an unseren Bedarf und unsere Strukturen an, weil einfach jedes Unternehmen anders tickt.“ War und ist das ein einfacher, direkter Weg? Sicher nicht. „Uns war klar, in welche Richtung es gehen soll. Als ich dann Holokratie entdeckt habe, habe ich mir gedacht: Das ist es! Als wir uns dann das Regelwerk angeeignet haben, haben wir dann allerdings gemerkt: So funktioniert das aber nicht für uns.“ Franziska beschreibt einen Prozess des Auswählens, Ausprobierens und Verwerfens bis das Unternehmen seine eigene Holokratie-Struktur gefunden hat. Auch heute zweifeln die Gründer*innen an ihrer neuartigen Hierarchie. Aber eine klassische Unternehmensstruktur ist keine Option für sie. „Wir haben uns von Anfang an viel damit beschäftigt, unsere Visionen, Werte und Organisation klar zu kriegen und sind der Frage nachgegangen, welche Art von Firma wir eigentlich aufbauen wollen. Die Werte, die wir anfangs niedergeschrieben haben, leiten auch heute noch unser Handeln!“ Das trägt Früchte: „Alle wollen etwas beitragen. Wir müssen unser Team heute eher davor schützen, sich selbst auszubeuten - und klare Abgrenzungen zu finden. Auch ist es wichtig, darauf zu achten, wie viel Zeit wir uns mit uns selbst, also mit interner Arbeit beschäftigen.“
- Emotionen müssen raus
- Franziska und Julia überlegen regelmäßig, was sie tun müssen, damit die Organisation gedeiht. „Wir investieren da viel. Wir machen das nicht allein, engagieren Coaches, die uns helfen.“ Denn die theoretischen Modelle bringen zwar einiges mit, aber „da fehlte an vielen Stellen die zwischenmenschliche Ebene”. „Die Modelle ignorieren, dass es am Arbeitsplatz auch Freundschaften gibt und dass es Leute gibt, die Unbehagen davor empfinden, klare Ansagen zu machen. Sie ignorieren, dass manche Menschen beleidigt sind, wenn sie nicht in jedem Ding gefragt werden und so weiter. Trainings in Gewaltfreier Kommunikation und regelmäßige Clear-the-Air-Termine, bei denen wir über zwischenmenschliche Probleme sprechen, sind daher sehr wichtig für uns. Wir nutzen diese Werkzeuge, um offen mit Problemen umzugehen.“ Das trägt dazu bei, Krisen zu bearbeiten, bevor sie groß werden.
- Erfolgsrezept: Gemeinsame Gründung
- Das Gründerinnen-Duo in der Geschäftsführung ist für Franziska der Clou. „Ich glaube ich würde nie allein gründen. Wir streiten zwar nicht, aber wir sagen uns sehr klar, was wir denken. Wir schätzen einander sehr und wissen, wie wertvoll das ist, wenn wir gemeinsam nachdenken können.“ Und „es macht uns als Gründerinnen auch aus, Krisen eher als Herausforderung zu nehmen. Let's do it! Julia und ich bleiben in schwierigen Situationen nicht lang verhaftet. Wir sind rasch lösungsorientiert und pragmatisch motiviert”, sagt Franziska. Trotzdem hinterfragen sie sich immer wieder selbst, fragen: „Sind wir als Gründerinnen überhaupt noch die richtigen Personen an der richtigen Stelle?” Bisher lagen Führung, Steuerung und Organisation komplett bei den beiden Gründerinnen. Jetzt haben sie eine neue Stelle ausgeschrieben – eine Controlling-Stelle auf Level der Geschäftsführung. „Wir haben einfach gemerkt, dass wir dort am Ende unserer Kompetenzen sind und für unsere Resilienz neue Kompetenzen dazu holen wollen.“
- Energiequellen für viel Arbeit…
- „Im eigenen Unternehmen so viel ausprobieren zu können und ein positives Beispiel aufzubauen, ist das Schönste, was ich mir vorstellen kann.“ Der Preis dafür? „Der Tag hat nur 24 Stunden. Ich mache deutlich weniger Sport als früher. Ich pflege wesentlich weniger Freundschaften, die verbleibenden sind aber intensiver.“ Gibt es sonst noch Kraftquellen außerhalb der Arbeit? „Ganz klar meine Familie – mein Mann und meine Kinder. Als wir gegründet haben, war ich im 5. Monat schwanger. Ich habe in den Gründungsjahren zwei Kinder bekommen. Klar bin ich oft müde und trinke ständig Kaffee. Aber es blüht und gedeiht so viel. Die Kinder werden größer, die Firma wird größer, all das erfüllt mich mit Freude und Stolz.“ Franziska bezeichnet diese Phase als „Rushhour” ihres Lebens. Den Fokus legt sie auf Familie und Arbeit. Trotzdem nimmt sie sich Zeit für sich allein. „Ich brauche auch Zeit mit mir allein, zum Nachdenken und Reflektieren - denn eine Organisationsstruktur, für die es nicht 50 Jahre an Best Practices gibt, und bei der so viel von den einzelnen Personen abhängt, fordert von mir eine ständige Evaluation der Dynamik.“ .
- … und für ein höheres Ziel
- All das nutzt auch einem höheren Ziel, das Franziska verfolgt: einer besseren Digitalisierung. „Digitalisierung muss nicht so sein, wie wir sie im Moment in der digitalen Welt um uns herum vorfinden. Wir können das in schöner denken - und das Beste ist: Wir können es selbst und gemeinsam mitgestalten! Es mag naiv klingen, aber ich glaube fest daran, dass wir alle ein Teil des Wandels sind. Und ich habe das Bedürfnis, einen Beitrag zu leisten. Für mich ist der Sinn unserer Arbeit, Menschen zu helfen, Digitalisierung selbst nachhaltig mitzugestalten - um gemeinsam die Welt zu bauen, in der wir leben möchten.“