Interview
Franziska Ritter
Franziska Ritter: 1:1 CONCERTS
„Das Konzept der 1:1 Concerts ist ganz einfach erklärt: 1 Musiker*in trifft 1 Hörer*in für 10 Minuten Musik an ungewöhnlichen Spielorten. Das ist das kleinste mögliche Konzertformat – und auch das sicherste in der Pandemie.“ Franziska Ritter und ihre Mitgründer*innen Christian Siegmund und Stephanie Winker bieten ein niedrigschwelliges Kulturangebot auf künstlerisch hohem Niveau. 1:1 Concerts ist dabei nicht nur ein Unternehmen „Es ist zunächst ein Format, aber vor allem eine Bewegung, ein Spendenaufruf, ein gemeinnütziger Verein, eine Agentur und eine Plattform.“
- Eine Idee wird zur Gelegenheit
- „In der Pandemie waren die 1:1 Concerts das Format der Stunde.“ Franziska imitiert mit ihrer Hand den Start einer Rakete. „Das war uns anfangs überhaupt nicht klar. Das passierte einfach.“ Dabei entstand die Idee bereits lange vor der Pandemie im Sommer 2019 auf einem Thüringer Kammermusikfestival, das die drei Kreativen im Kloster Volkenroda organisierten. „Beim Festival waren die 1-zu-1-Konzerte eine Art Appetizer zu einem großen Nachtkonzert. Wir waren fasziniert von der Wirkung auf uns und das Publikum. Und überrascht, als da alle mit Tränen in den Augen herauskamen.“ Eine Idee ist aber noch keine Gelegenheit. „Es war eben eines der Formate zum damaligen Festivalmotto ‘einfach’. Für das nächste Jahr machen wir wieder etwas anderes zu einem neuen Thema. So arbeiten wir eigentlich immer: Wir entwickeln etwas, realisieren es und dann erfinden wir wieder etwas Neues.“
- Kreislauf des Schenkens
- Doch dann wurde mehr daraus. Das Ziel des Projektes ist es, freiberufliche Musiker*innen zu unterstützen, die durch die Pandemie in ihrer beruflichen Existenz bedroht sind. Die 1-zu-1-Konzerte bauen auf die Solidarität der angestellten Orchestermusiker*innen gegenüber der freien Szene. Die Festangestellten spielen Konzerte, die daraus generierten Spenden gehen an die Freischaffenden. Das tut auch den angestellten Musiker*innen gut: „Wir schenken das richtige Format, um solidarisch agieren zu können.“ Franziska spricht oft vom „Schenken” – und handelt auch so. Abgesichert durch Hauptberufe in Musik, Architektur und Kulturvermittlung schenken die drei Initiator*innen ihre Zeit. Sie leisten sich bis heute nur eine Assistenz, Steuerberatung und anwaltliche Beratung. Dem gegenüber stehen rund 2000 Menschen (Stand von November 2021), die sich ehrenamtlich einbringen. Das sind Partner*innen in Orchestern, aber auch Menschen, die als Gastgeber*innen oder in anderen Rollen einfach mitgemacht haben – ohne davon finanziell zu profitieren. „Das Ganze ist ein großer solidarischer Kreislauf, denn die freiwilligen Spenden der Hörer*innen kommen dann der freien Szene zugute. So leisten wir unseren Beitrag zum Kulturerhalt.“
- Startschuss Krise
- „Es war Steffi, die als Flötistin in Stuttgart im ersten Lockdown festsaß und dachte: ‘So vieles soll jetzt nicht mehr möglich sein?’“, erzählt Franziska. Angestellte Musiker*innen saßen bei meist vollen Gehältern zu Hause. Vielen freien Musiker*innen war unterdessen ihr Einkommen weggebrochen und sie wussten nicht, wie sie die nächste Monatsmiete zahlen sollten. Bei Steffi als festangestellte Professorin wuchs das schlechte Gewissen. Sie beschloss, in Stuttgart erste 1-zu-1-Konzerte abzuhalten – und dafür kein Eintrittsgeld zu nehmen. Stattdessen sollte das besondere persönliche Erlebnis ein Geschenk sein. Spenden aber waren willkommen. Die könnten die Musiker*innen für den Nothilfefonds der Deutschen Orchesterstiftung für die freischaffenden Kolleg*innen sammeln. Stephanies Freundin Elena Graf, Konzertmeisterin des Staatsorchesters Stuttgart, war laut Franzsika sofort mit eigenen Beiträgen dabei. Sie schlug vor, das Format der Staatsoper anzubieten. Die Leitung würde gerade händeringend Angebote für ihr Publikum suchen. Es war eine gute Gelegenheit um Hilfe und Unterstützung zu bekommen”
- Das erste 1-zu-1 in der Pandemie
- Stephanie traf die Kommunikationschefin der Stuttgarter Staatsoper mitten im Lockdown auf den Stufen des verwaisten Opernhauses. Wie sollten sie vorgehen, wenn nicht ganz klar ist, was erlaubt ist und was nicht? Die Corona-Regeln änderten sich ständig. „Wir haben mit einer Hand voll Orchestermusiker*innen Testläufe an verschiedenen Spielorten gemacht”, erklärt Franziska, „und versucht, weitere Gastgeber*innen und Orte in der Stadt zu finden. Irgendwann haben wir dann einfach begonnen.“ Sie legten die Regeln weit aus, gingen in Graubereiche – und konnten so beginnen. Zunächst startete eine erste 1-zu-1-Serie in Stuttgart. „Ich habe parallel superschnell eine Website, Social-Media-Kanäle und eine interne Kommunikations-Plattform aufgebaut. Wir hatten kein Geld, wir haben einfach gemacht. Die Website war wichtig, um Reichweite für das Projekt zu generieren und die Konzerte zu buchen, organisatorisch ist dieses Kleinstformat nämlich eine echte Herausforderung.“
- Andockpunkte schaffen
- „Dann ging alles Schlag auf Schlag – zunächst einmal über unser Netzwerk aus Freund*innen, aber auch über die mediale Rakete mit lokalem und internationalem Presseecho, inklusive zwei Artikeln in der New York Times. Den Ball haben andere dann schnell aufgenommen: die Thüringer im Theater Erfurt, die Dresdner Philharmonie und die Staatskapelle etwa”, erzählt Franziska. Danach haben sie und Co-Gründer Christian im Juni 2020 in Berlin eine große Serie mit mehreren Orchestermusiker*innen organisiert. Und plötzlich wollten alle dabei sein. „Aber wir hatten zu dritt irgendwann einfach nur das Problem, wie wir die Zügel in der Hand behalten.“ Zusätzlich hätte es „Trittbrettfahrer und Nachahmer” gegeben. „Manchmal wurden wir richtig schlecht kopiert und wir hätten uns überlegen können, wie wir die alle draußen halten. Aber der Schlüssel war eigentlich, dass wir stattdessen Andockpunkte geschaffen haben und alle einsteigen konnten, die etwas beitragen wollten. Wir haben uns dann an denen entlang gehangelt, bei denen wir merkten: Die habent die richtige Energie.“
- Eine Frage der Qualität
- „Anfangs haben wir geglaubt, wir müssen für die Qualitätssicherung Vorspiele organisieren. Heute wissen wir: totaler Quatsch.“ Franziska und das Team haben sich stattdessen darauf konzentriert, ihr Konzept so stark zu machen, dass vor allem diejenigen mitmachen, die dazu passen. „Dazu gibt es nun klare Spielregeln und Leitfäden, denn auch wenn das Konzept so einfach daherkommt, entfaltet es seine wahre Qualität erst durch Präzision. Der Eintritt ist immer frei, die Begegnung zwischen Musiker*in und Hörer*in startet immer in der Stille. Es wird nicht gesprochen oder geklatscht. Und ja, ein 1:1-Concert ist eben kein 2:2-, 1:2- oder 3:4-Conzert. Manchen Menschen mussten wir sagen: Wenn ihr das so machen möchtet, dann gerne, aber nicht als 1:1 Concert. Das war schmerzhaft, aber wichtig, um das Projekt und seine Zukunft zu schützen.“
- Ende der Pandemie = Ende des Projekts?
- „Bis jetzt waren das sicher weit über 10.000 Konzerte“ überschlägt Franziska. Denn 1:1 Concerts gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, Italien, Spanien, den USA, Australien, Indien und Japan. Eine neue Website steht kurz vor dem Launch. Noch funktioniert das Modell, das auf Sinnstiftung in schwierigen Zeiten basiert. Doch was, wenn die Pandemie vorbei ist? „Klar wird das Ganze in der Pandemie besonders gebraucht. Aber davon wollen wir eigentlich weg“ sagt Franziska. Die Idee funktioniert schließlich auch für ganz andere Anlässe. „So haben in diesem Jahr beim 1:1 Festival das Konzept auf andere Disziplinen wie Tanz, Schauspiel und Artistik adaptiert. Wir gehen auch in Unternehmen, in denen 1:1 ein Kommunikationsformat sein kann. Oder wir haben auch schon auf einem Weingut 1:1-Weinverkostungen mit Winzer*innen veranstaltet. Wir können überall dort hingehen, wo die Themen Resonanz, Achtsamkeit und Augenhöhe gefragt sind.“ Das Team ist mittlerweile gut aufgestellt, geht in die Akquise, schreibt Förderanträge und erweitert kontinuierlich das Repertoire. Und davon leben? „Meine Währung ist Zeit und nicht Geld. Als Nächstes möchten wir uns mehr Menschen leisten können, die uns entlasten. So dass wir uns noch mehr auf unsere Rolle als Künstlerische Leiter*innen und Vorstände des Vereins konzentrieren können.